Kommentar: Das Wort „Wintershall“ hat für jemanden, der die Entwicklung des ostdeutschen Gasgroßhändlers VNG Verbundnetz Gas über längere Zeit verfolgt hat, einen besonderen Klang. Wintershall, eine Tochtergesellschaft des Chemiekonzerns BASF, gehörte zu den ersten Aktionären, als VNG im Jahr 1991 von der Treuhand privatisiert wurde.


stefan schroeter grossSpäter gab es zwar einen langwierigen Streit, weil Wintershall einen Zwischenhändler in die russischen Erdgaslieferungen an VNG einschaltete und so den Gasbezug für sein eigenes Beteiligungsunternehmen verteuern wollte. Doch nachdem dieser Streit beigelegt war, erwies sich Wintershall schließlich für lange Zeit als ein zuverlässiger Partner.

Diese Partnerschaft bewährte sich besonders ab dem Jahr 2002. Damals übernahm der aufstrebende Energiekonzern Eon den größten deutschen Gasversorger Ruhrgas. Ein kartellrechtlicher Nebeneffekt dieser Elefantenhochzeit war, dass Ruhrgas, bis dahin größter VNG-Aktionär, seine Anteile an dem ostdeutschen Gasversorger abgeben musste. Damit kam das ebenfalls aufstrebende Oldenburger Energieunternehmen EWE ins Spiel, das gemeinsam mit den ostdeutschen Kommunen die Kontrolle bei VNG übernehmen und damit eine so genannte „fünfte Kraft“ auf dem deutschen Energiemark bilden wollte – nach Eon, RWE, EnBW und Vattenfall.

Das Bundeswirtschaftsministerium genehmigte dieses Konzept, und so konnte EWE die VNG-Aktien von Ruhrgas und Eon übernehmen. Mit weiteren Aktienkäufen kamen die Oldenburger dann der alleinigen Mehrheit schon sehr nahe. Gleichzeitig wurde es den ostdeutschen Kommunen ermöglicht, ihre VNG-Anteile auf eine Sperrminorität von über 25 Prozent aufzustocken. Doch in der Folge kam es zu starken Spannungen zwischen EWE und den übrigen VNG-Aktionären, die dazu führten, dass EWE-Vorstandschef Werner Brinker als VNG-Aufsichtsratschef abgelöst wurde.

Schließlich wurde bekannt, dass EWE die Städte Halle und Jena zum Verkauf ihrer VNG-Anteile bewegen und sich so gegen den Willen des Vorstandes und der übrigen Aktionäre die alleinige Kontrolle des Unternehmens sichern wollte. Dagegen wehrten sich nun die anderen Städte erfolgreich vor Gericht. Der feindliche Übernahmeversuch des ursprünglich freundlichen Partners EWE konnte schließlich mit vereinten Kräften aller übrigen Aktionäre verhindert werden. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete Wintershall, das mit Karsten Heuchert den neuen Aufsichtsratschef stellte. Später wurde er Vorstandschef des Unternehmens und meisterte mit ihm zuletzt erfolgreich die tiefe Krise der langfristigen Erdgas-Bezugsverträge.

Doch nun ist es ausgerechnet der scheinbar solide VNG-Aktionär Wintershall, der EWE seinen Aktienanteil von knapp 16 Prozent verkaufen will und den Oldenburgern damit die bisher verhinderte VNG-Kontrolle geradezu auf dem Silbertablett präsentiert. Die BASF-Tochter folgt damit ihrer neuen Strategie, sich vom Erdgashandel zu trennen und auf die Förderung von Erdgas und Erdöl zu konzentrieren. Der Kaufpreis wird zwar nicht genannt. Aber da EWE erfahrungsgemäß stolze Preise für VNG-Aktienpakete zahlt, werden die Kapitalinteressen von BASF und Wintershall wohl bestens bedient.

Deshalb müssen VNG und die anderen Aktionäre möglicherweise künftig mit einem Mehrheitsaktionär auskommen, mit dem sie schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben. Vielleicht verkauft EWE sein VNG-Mehrheitspaket auch an einen anderen „strategischen Investor“. In beiden Fällen wird eines der umsatzstärksten ostdeutschen Unternehmen, das sich zudem bisher eine gewisse  Eigenständigkeit gegenüber anderswo beheimateten Konzernen bewahren konnte, nach 2002 erneut zum Spielball von Kapitalinteressen.

Dem Ruf von BASF/Wintershall und EWE sind diese beiden Varianten wohl wenig förderlich. Es darf auch bezweifelt werden, dass sich VNG mit einem unerwünschten Mehrheitsaktionär weiter so erfolgreich wie in den letzten 23 Jahren entwickeln kann. Der bisherige Erfolg des Unternehmens beruht wahrscheinlich zu einem großen Teil darauf, dass es sich eben nicht nach einem Mehrheitsaktionär richten musste, der mit den Verhältnissen vor Ort nur begrenzt vertraut gewesen wäre. Weil das Kapital unter vielen Minderheitsaktionären breit verteilt war, konnte sich der VNG-Vorstand einen relativ großen Entscheidungsspielraum erschließen und ihn offenbar zum Wohl des Unternehmens nutzen.

Wenn sie die richtigen Lehren aus der VNG-Geschichte ziehen wollen, ist den Vorständen von Wintershall und EWE zu empfehlen, ernsthaft über eine dritte Möglichkeit nachdenken. Sie könnte darin bestehen, Winterhalls VNG-Aktien an einen „nichtstrategischen Investor“ zu verkaufen, der damit zufrieden ist, die in guten Jahren reichlichen Dividenden zu kassieren. Das wäre für alle Beteiligten wohl das Beste. Und auch der Klang des Wortes „Wintershall“ könnte ungetrübt bleiben von einem neuen Misston.

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